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Thallium
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Thallium

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Warum zertrümmert ein Rentner mitten in Barcelona die Windschutzscheibe des Wagens der Journalistin Fátima Moreo? Holt die Vergangenheit ihres toten Vaters Fátima und ihre Familie ein? Wochen zuvor wurde General Gerardo Moreo am Strand von Roses leblos aufgefunden - und seither kommen immer neue Geheimnisse ans Tageslicht.
Die alten Seilschaften aus der Zeit der Kolonialherrschaft in Afrika bestehen noch immer fort: Nach und nach entdeckt Fátima die Verstrickungen ihres Vaters und anderer hochrangiger Militärs aus Spanien und Frankreich in politische Intrigen und Mord. Und auch ihre tagein, tagaus mit der Suche nach Trüffeln beschäftigte Mutter ist nicht so unschuldig, wie sie tut.
Nach seinem großartigen Roman Der Radfahrer von Tschernobyl über die wirklichen Helden der Reaktorkatastrophe beweist Javier Sebastián in seinem neuen Buch einmal mehr, dass er hochbrisante Themen spannend und intelligent in Fiktion zu verwandeln weiß.
IdiomaEspañol
Fecha de lanzamiento21 ago 2015
ISBN9783803141835
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    Thallium - Javier Sebastián

    Javier Sebastián

    Thallium Roman

    Aus dem Spanischen von Ursula Bachhausen und Anja Lutter

    Verlag Klaus Wagenbach Berlin

    Die spanische Originalausgabe erschien 2004 unter dem Titel Veinte semanas bei Espasa Calpe in Madrid.

    E-Book-Ausgabe 2015

    © 2004 Javier Sebastián

    © 2015 für die deutsche Ausgabe: Verlag Klaus Wagenbach, Emser Straße 40/41, 10719 Berlin

    Alle Rechte vorbehalten. Jede Vervielfältigung und Verwertung der Texte, auch auszugsweise, ist ohne schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und strafbar. Dies gilt insbesondere für das Herstellen und Verbreiten von Kopien auf Papier, Datenträgern oder im Internet sowie Übersetzungen.

    ISBN: 978 3 8031 4183 5

    Auch in gedruckter Form erhältlich: 978 3 8031 3272 7

    SPANISCHE LITERATUR BEI WAGENBACH

    JAVIER SEBASTIÁNDer Radfahrer von TschernobylRoman

    Sebastián setzt den namenlosen Opfern und verleugneten Helden von Tschernobyl ein literarisches Denkmal – so spannend wie ein Abenteuerroman und mindestens ebenso informativ wie das beste Sachbuch zum Thema.

    Aus dem Spanischen von Anja Lutter. WAT 711. 224 Seiten. Broschiert

    JUAN MARSÉLetzte Tage mit TeresaRoman

    Motorräder und Motorraddiebe, stattliche Villen, Strände und Bikinis, Teresa, Manolo und Maruja … So gewagt, wie der Roman damals – im prüden, erzkatholischen Spanien unter Franco – war, so leicht, frech und verspielt wirkt er noch heute. Er wurde inzwischen zweimal verfilmt.

    Aus dem Spanischen von Andrea Rössler. WAT 587. 456 Seiten. Broschiert

    JUAN MARSÉDer zweisprachige LiebhaberRoman

    Als Marés seine Frau Norma, eine katalanische Patriotin aus gutem Hause, in flagranti mit einem andalusischen Schuhputzer erwischt, bricht für ihn eine Welt zusammen. Der gehörnte Ehemann gibt seine gesellschaftliche Stellung auf und verwandelt sich in einen Akkordeonspieler – nur, um als zweisprachiger Liebhaber die Ehefrau zurückzuerobern.

    Aus dem Spanischen von Hans-Joachim Hartstein. WAT 660. 208 Seiten. Broschiert

    JAVIER TOMEODie SilikonliebhaberRoman

    Es ist eine unerhörte Begebenheit, von der uns Javier Tomeo hier erzählt: die unsägliche Liebesgeschichte zweier aufblasbarer Gummipuppen, die sich gegen ihre Besitzer auflehnen. Das Szenario ist ebenso unverschämt wie schamlos und ganz nebenbei auch noch ein geistreiches poetologisches Traktat über Sittlichkeit und Wahrscheinlichkeit moderner Prosa.

    Aus dem Spanischen von Heinrich v. Berenberg

    Quartbuch. 144 Seiten. Gebunden mit Schutzumschlag

    RICARDO MENÉNDEZ SALMÓNMedusaRoman

    Ein eindringlicher Roman darüber, wie der Maler, Fotograf und Filmemacher Prohaska die Grausamkeit des 20. Jahrhunderts zu bannen versucht. Und ständig steht die eine große Frage im Raum: Was ist Kunst – und was darf Kunst, im Angesicht des Todes?

    Aus dem Spanischen von Carsten Regling

    Quartbuch. 144 Seiten. Gebunden mit Schutzumschlag. Auch als E-Book erhältlich

    MIGUEL ÁNGEL HERNÁNDEZFluchtversuchRoman

    Ein Künstler pfercht einen Afrikaner in eine Holzkiste und stellt ihn aus – die Kritiker sind begeistert. Doch danach ist der Eingesperrte wie vom Erdboden verschluckt. Der Student Marcos beginnt nachzuforschen und steckt mit seinem bösen Verdacht auch den Leser an: Kann Kunst tödlich sein?

    Aus dem Spanischen von Jannike Marie Haar und Carsten Regling

    Quartbuch. 256 Seiten. Englische Broschur. Auch als E-Book erhältlich

    JAVIER TOMEODas Verbrechen im OrientkinoRoman

    Tomeos spannendster Roman, ein Psychothriller, in dem jede Geste aus der Scheinwelt des Kinos zu kommen scheint und doch reale Folgen hat.

    Aus dem Spanischen von Heinrich von Berenberg

    Quartbuch. 160 Seiten. Gebunden in Leinen

    JAVIER TOMEOHotel der verlorenen SchritteErzählungen

    – damit ist Javier Tomeo in bester Gesellschaft von Italo Calvino, Jorge Luis Borges und Doris Lessing.

    . 96 Seiten mit Zeichnungen des Autors. Rotes Leinen, fadengeheftet

    JAVIER FERNÁNDEZ DE CASTRO

    In Erinnerung an einen vorzüglichen Wein

    Ein gehörnter Winzer, ein Verleger technischer Fachliteratur, ein Ingenieur, viel Rotwein und noch mehr Kühe: ein kurzer Roman über eine Männerfreundschaft.

    . 120 Seiten. Rotes Leinen, fadengeheftet

    JAVIER FERNÁNDEZ DE CASTRO

    Die berauschende Wirkung von Bilsenkraut

    Ein Pferd, das sich im Glockenstrang der Dorfkirche verheddert, ein Adeliger, der einen Kanal von Spanien bis nach Flandern bauen will, und zwei Motorradfahrer im Rausch des Bilsenkrauts: unverwechselbar Fernández de Castro.

    . 144 Seiten. Rotes Leinen, fadengeheftet

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    Was ist aus dem guten alten spanischen Macho geworden? Gibt es ihn noch, oder hat sich Don Juan inzwischen in eine Doña Juanita verwandelt? Genauere Antworten darauf gibt dieses Buch.

    . 144 Seiten. Rotes Leinen, fadengeheftet

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    Ein schillerndes Panorama der jungen spanischen Literatur. Fast alle Texte erscheinen zum ersten Mal auf Deutsch! Mit Beiträgen von Berta Marsé, Andrés Barba, Lolita Bosch, Javier Salinas, Félix J. Palma, Robert Juan-Cantavella, Felipe R. Navarro, Agustín Fernández Mallo, Ricardo Menéndez Salmón, Care Santos und vielen mehr.

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    Aus dem Französischen von Sabine Heymann

    Quartbuch. 128 Seiten. Gebunden mit Schutzumschlag. Auch als E-Book erhältlich

    NAJAT EL HACHMIDer letzte Patriarch

    Ein bitterböser Abgesang auf das Patriarchat – und ein fesselnder Familienroman über drei Generationen, zwischen gestern und heute, zwischen der arabischen und der westlichen Welt. Temporeich und unterhaltsam, und dennoch ein Buch, das niemanden gleichgültig lässt.

    Aus dem Katalanischen von Isabel Müller

    Quartbuch. 352 Seiten. Gebunden mit Schutzumschlag

    Wenn Sie sich für diese und andere Bücher aus unserem Verlag interessieren, besuchen Sie unsere Verlagswebsite: www.wagenbach.de

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    Verlag Klaus Wagenbach Emser Straße 40/41 10719 Berlin www.wagenbach.de

    Ein Geheimlabor und eine Abtei in Südfrankreich, ein Trüffelschwein aus Soria und das ehebrecherische Doppelleben der eigenen Mutter führen Fátima zu der fatalen Erkenntnis, dass sie einer großen Lüge aufgesessen ist. Und ihr Vater, der General, ist tot.

    Warum zertrümmert ein Rentner mitten in Barcelona die Wind-schutzscheibe des Wagens der Journalistin Fátima Moreo? Holt die Vergangenheit ihres toten Vaters Fátima und ihre Familie ein? Wochen zuvor wurde General Gerardo Moreo am Strand von Roses leblos aufgefunden – und seither kommen immer neue Geheimnisse ans Tageslicht.

    Die alten Seilschaften aus der Zeit der Kolonialherrschaft in Afrika bestehen noch immer fort: Nach und nach entdeckt Fátima die Verstrickungen ihres Vaters und anderer hochrangiger Militärs aus Spanien und Frankreich in politische Intrigen und Mord. Und auch ihre tagein, tagaus mit der Suche nach Trüffeln beschäftigte Mutter ist nicht so unschuldig, wie sie tut.

    Nach seinem großartigen Roman Der Radfahrer von Tschernobyl über die wirklichen Helden der Reaktorkatastrophe beweist Javier Sebastián in seinem neuen Buch einmal mehr, dass er hochbrisante Themen spannend und intelligent in Fiktion zu verwandeln weiß.

    »Der Leser verfängt sich in der unerbittlichen Intrige dieses Romans wie eine Fliege im Spinnennetz.«

    Julio José Ordovás, El Mundo

    EINS

    UNTER DEN PAPPELN am Ausgang des Parc de la Ciutadella stand eine Gruppe von älteren Männern um eine kranke Taube herum, die hektisch am Boden flatterte. Offenbar hatte sie Schmerzen. Die Männer traten zur Seite, um sie durchzulassen, und folgten ihr, als sie durch das wilde Flügelschlagen langsam immer weiter auf den Bürgersteig geriet und von dort in die Nähe der Busspur. Der eine, den alle Gil Escolano nannten, trug eine kleine Ledertasche über der Schulter, in der er seine Boulekugeln aufbewahrte. Er wirkte missmutig. Doch dann erblickte er auf der anderen Straßenseite die Frau, die er für sein Unglück verantwortlich machte, und seine Augen leuchteten auf. Hastig klemmte er sich die Schultertasche unter den Arm und machte den anderen ein Zeichen.

    Fátima Moreo saß mit offenem Fenster am Steuer ihres Opels. Es war November, und sie wartete vor dem Schultor auf ihre Tochter.

    Die Rentner starrten zu ihr herüber.

    Fátima Moreo verriegelte die Tür und kurbelte das Fenster hoch.

    Mittlerweile lag die Taube in den letzten Zügen. Sie plusterte die Federn auf, reckte den Schnabel gen Himmel und rührte sich nicht mehr. Gil Escolano ging hinüber zu dem Opel, die Männer schauten ihm nach. Er beugte sich zum Wagenfenster hinunter. Fátima Moreo hielt den Blick starr auf das Armaturenbrett gerichtet. Sie hatte eigentlich vorgehabt, die letzte Sonne des Tages zu genießen, während sie hier auf ihre Tochter wartete. Aber nun wurde es ihr mulmig. Hilfesuchend schaute sie sich um. In Richtung Justizpalast erblickte sie einen Taschentuchverkäufer, der an der Ampel nach Kundschaft Ausschau hielt.

    Gil Escolano sah den Moment gekommen. Er öffnete die Tasche mit den Boulekugeln, nahm eine heraus, wog sie in der Hand und schleuderte sie mit aller Kraft gegen die Windschutzscheibe des Opels.

    Das Glas barst und splitterte, Fátima Moreo hielt sich schützend die Hände vors Gesicht. Zwischen den Fingern hindurch sah sie ihre Tochter Eva neben ein paar Oleanderbüschen stehen. Ein weiterer älterer Herr kam so schnell er konnte aus der Toilette des tropischen Gewächshauses angehumpelt und schrie schon von Weitem, Gil Escolano solle sofort damit aufhören. Lass die Frau in Ruhe, Mensch, hörst du!

    Scheiße, verdammt, Escolano, ist gut jetzt.

    Fátima Moreo hatte vor Schreck kaum mitbekommen, was der Mann gerufen hatte. Sie holte einmal tief Luft, stieß die Tür auf, sprang aus dem Auto und rannte los. Nach hundert Metern flüchtete sie sich hinter einen Kiosk und blickte atemlos zurück. Bis hierher kommt er nicht, dachte sie. Oder zumindest braucht er eine Weile, bis dahin bin ich längst im Born-Viertel, in den engen Gassen erwischt der mich nie.

    Sie hätte Eva gerne übers Haar gestrichen, ihre Hand genommen. Man konnte nie wissen.

    Ihr war ganz elend.

    Vom Kiosk aus konnte Fátima Moreo erkennen, dass der alte Mann, der ihr zu Hilfe geeilt war, die Hände verbunden hatte. Er stritt lautstark mit Gil Escolano. Die beiden Männer schrien sich an, als wollten sie jeden Moment aufeinander losgehen.

    Fátima Moreo rief nach ihrer Tochter, die schnappte sich ihre Bücher und flitzte los, duckte sich aber sicherheitshalber hinter die parkenden Autos. Sie war erkältet, lief den ganzen Tag mit einem Taschentuch herum, putzte sich laufend die Nase. Ich bin krank, Mama, bestimmt kriege ich auch Fieber. Außerdem verstand sie überhaupt nicht, was los war. Fátima Moreo legte ihrer Tochter die Hand in den Nacken und schob sie sanft, aber bestimmt vor sich her. Sie wollte so schnell wie möglich von hier verschwinden. Ihr war unwohl, und sie hatte das Gefühl, einigermaßen derangiert auszusehen. Vermutlich gab sie in den Augen der Leute ein merkwürdiges Bild ab. Vielleicht war es das Beste, einfach zu lächeln, dachte sie.

    Sie liefen unter den hohen Fenstern des Naturkundemuseums entlang, auf der Seite, wo die Busse hielten.

    Fátima Moreo schaute sich von Zeit zu Zeit um, um zu sehen, ob Gil Escolano ihnen folgte, und so zog sie Eva an der Hand durch die Straßen, ohne einmal innezuhalten. Unter den Arkaden des Passeig de Picasso hindurch, dann die Avinguda del Marquès de l’Argentera entlang, vorbei an der Estació de França und den kleinen Geschäften am Hafen. Endlich standen sie vor ihrem Haus, gleich neben der Post. Sie wollte nur schnell nach oben, ihre Sachen holen, bevor sie verschwanden. Nur für einen Augenblick, Eva, wir müssen gleich wieder los. Die Leute auf der Straße hatten ihre eigenen Sorgen, es schien ein ganz gewöhnlicher Nachmittag und ihre Eile unbegründet. Doch nicht auszudenken, was passierte, wenn Gil Escolano hier auftauchte und sich Zutritt zum Haus verschaffte, also los, beeil dich, sagte sie zu ihrer Tochter.

    Im Schlafzimmer klappte sie ihren Koffer auf und fing an zu packen. Als Erstes das Foto ihres Vaters, das gerahmt auf ihrem Nachttisch stand. Fast fünf Monate waren vergangen, seit ein belgisches Paar ihn tot am Strand von Roses gefunden hatte, und seitdem hatte sie das Bild neben dem Bett stehen. Es zeigte ihn auf einer hellblauen Vespa, zusammen mit ihrer Mutter. Die Aufnahme musste schon sehr alt sein.

    Aber jetzt müssen wir hier weg.

    Sie stopfte die restlichen Sachen in den Koffer, stolperte mit Eva die Treppe hinunter, und fünf Minuten später setzte ein Taxi sie am zentralen Busbahnhof ab. Das haben wir alles dem Mann aus dem Park zu verdanken, so viel hab ich schon kapiert, sagte Eva.

    Ich kenne den Mann, erwiderte ihre Mutter, manchmal ist er plötzlich wie außer sich, so als ob er nicht mehr weiß, was er tut, verstehst du.

    Aber sag mal, wo wollen wir denn eigentlich hin, Mama?

    Wir fahren für ein paar Tage auf die Finca nach Soria.

    Das ist ganz schön weit.

    Deswegen ja, erwiderte Fátima Moreo. Sie fühlte sich ganz verloren, lief planlos hin und her und wünschte so sehr, dass ihr Vater jetzt bei ihr wäre. Du würdest mich an der Hand nehmen, murmelte sie. Mich fest in die Arme schließen. Mir sagen, ob ich Eva erzählen soll, was passiert ist, oder lieber nicht. Doch er war nicht da, es half alles nichts, also machte sie sich auf die Suche nach der Tafel mit den Abfahrtszeiten, dann nach dem Schalter, wo ein träger Angestellter, der sich vor langer Zeit der Langeweile ergeben hatte, Tickets für Reisen an ferne Orte verkaufte: Spanien, Europa und der Maghreb standen zur Auswahl. Zehn oder vielleicht auch zwölf Reisende hatten es sich auf Bänken zwischen allerhand Paketen bequem gemacht und schliefen. Die Leute rauchten oder tranken Mineralwasser. Oder sie taten nichts. Halb sechs schlug die Uhr, die an dem geschwungenen Bogen über der Bahnhofshalle hing wie eine ständige Mahnung, dass die Zeit niemals stillsteht.

    Was dein Großvater Gerardo wohl denken würde, wenn er uns jetzt sehen könnte, sagte Fátima Moreo bedrückt.

    Immerhin hast du sein Foto dabei, versuchte Eva ihre Mutter zu trösten und hakte sich bei ihr unter.

    Also ist er doch irgendwie bei uns.

    Mama?

    Fátima Moreo strich ihrer Tochter eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Am Bussteig fiel ihr Blick auf einen Passbildautomaten mit ausgestellten Musterfotos, kurzentschlossen schob sie ihre Tochter in die Kabine. Zuerst sträubte sich Eva, das sei peinlich, meinte sie, sie passten ja beide zusammen gar nicht richtig rein.

    Egal. Was, wenn der Mann uns bis hierher folgt? Also los, Eva, rein mit dir.

    Sie ließen das Gepäck vor der Kabine stehen und zogen den Vorhang zu. Fátima Moreo setzte sich auf den Hocker, Eva quetschte sich auf ihren Schoß. Ein bisschen lächerlich kamen sie sich vor, so eingepfercht. Während sie in der Kabine hockten und warteten, bis sie in den Bus einsteigen konnten, machten sie sich eine Tüte geröstete Sonnenblumenkerne auf, die sie einem Mann mit einem Karren voller Kokosnüsse abgekauft hatten. Igitt, wie schmecken die denn, beschwerte sich Eva. Die sind nicht mehr gut, ich schmeiß sie weg, ja?

    Gib her.

    In diesem Augenblick wurde über Lautsprecher die Abfahrt des Busses nach Soria angekündigt. Fátima Moreo und ihre Tochter stolperten aus der Kabine und griffen nach ihren Sachen. Sie verstauten ihr Gepäck im Laderaum, zeigten dem Fahrer ihre Fahrkarten und stiegen über die kleine Treppe in den Reisebus. Sie setzten sich in die vorletzte Reihe, wo Fátima Moreo durch die Heckscheibe hin und wieder einen Blick auf die Autobahn werfen und Eva sich den einen oder anderen Film anschauen konnte, der Bildschirm befand sich jedenfalls in idealer Entfernung.

    Weiß Großmutter, dass wir kommen?

    Sobald wir eine Pause machen, rufe ich sie von unterwegs an, erklärte Fátima Moreo. Ich habe mein Handy im Auto liegengelassen.

    Beim Sender musste sie auch anrufen, dachte sie. Und César, ihren Mann, sie musste ihm sagen, wo sie waren.

    Fátima Moreo schaute aus dem Fenster, ihr Blick fiel auf einen Jungen, der Werbeflyer verteilte. Er trug eine weiße Schirmmütze. Auf dem Schirm, den er bis auf Augenhöhe heruntergezogen hatte, waren die Initialen einer Marke für landwirtschaftliche Düngemittel zu lesen. Plötzlich trat hinter dem kobaltblauen Telefon neben ihm der alte Mann hervor, der ihnen im Ciutadella-Park hatte zu Hilfe eilen wollen, und sah sich suchend um.

    Kopf runter, Eva, schnell.

    Was ist denn?

    Da sind sie wieder.

    Fátima Moreo ließ sich ein Stück auf ihrem Sitz hinunterrutschen, behielt aber im Blick, was draußen auf dem Busbahnhof vor sich ging. Der alte Mann hatte den Jungen mit den Flyern offenbar etwas gefragt, denn der nickte und deutete auf

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